Die Tanten in Xanten

Zwei Tanten in Xanten,
Die kannten den Dichter
Schon in Kindheitstagen,
Als er mit seinem Leiterwagen,
Selbst ein zweifüßiges Pferd,
Die Auen des niederen Rheines durchquert,
Und dabei, weit weg vom elterlichen Heim,
Laut singend und tanzend zu eigenen Reim,
Die unbeschwertesten Sommer verbracht,
An die er seither immer gerne gedacht.

Die Tanten, die ich meine:
Helene – das war die kleine –
Und ihre Schwester Cedrine,
Die sprachen oft mit wichtiger Miene
Vom Kinde der Nichte,
Wie schön das doch dichte
Im Sitzen und Ambulanten,
Das schriebe gewiß noch mal Geschichte
Wenn man es nur gehörig richte –
So sagten die Tanten aus Xanten.

Was immer er auf Zettel schmierte,
Beim Mittagstisch improvisierte,
Das sammelten die Zwei und schrieben es auf:
Er ahnte es nicht und achtet’ nicht drauf,
Daß die studierten Philologen,
Die dem Talent zutiefst gewogen,
Auch solche Sachen festgehalten,
Worin der blanke Unfug walten,
Der Nonsens Urständ’ feiern wollte,
Die pure Lust am Rhythmus tollte …

Das machte dem Kinde keine Sorgen
Und blieb auch dem Dichter noch lange verborgen,
Bis eines Tags die beiden Tanten –
Sie wohnten nach wie vor in Xanten –
Dem einstmals geliebten Feriengast
Der kindlichen Dichtkunst erhebliche Last
Nebst andern erles’nen Gaben
Zum Wiegenfeste bereitet haben:
Ein Konvolut wie ein Codex gebunden,
In dem sich unzählige Verse befunden,

Die Autographen fein eingeleimt
Mit allem, was der Knabe gereimt,
Dazwischen von Helenes Hand
(Die sich auf Schönschrift besonders verstand),
Was sie und Cedrine
Mit wichtiger Miene
Einst in der guten Stube
Notierten, wenn der Bube
Im ambulanten Höhenflug
Oft stundenlang, in einem Zug,
Der unverstand’nen Silben Klang
In vierfüßige Jamben zwang …

Die Tanten nannten
Die Resultanten
Ihrer Mühe
»Sebastians frühe
Reime aus Xanten« –
Womit sie den Dichter überrannten,
Der – von Rührung übermannt –
Die Jugendsünden wiedererkannt
Und aus dem Buche unverdrossen
Einige der schönsten Possen
Ungeschminkt zu lesen gibt,
Weil er nun mal den Unfug liebt,
Den ambulanten …
Wie seine Tanten aus Xanten.