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Eine Festtags-Idylle

Bei ihrer letzten Weihnachtsfeier
Hat die Belegschaft von Schulze & Meier
Den Vorgesetzten sich vorgesetzt:
Er wirkte äußerlich unverletzt,
Als sei er noch am Leben.
Und hätte es da nicht in seinem Mund
Die halbe Zitrone gegeben,
Er wäre als krekel & kerngesund
Dem ahnungslosen Betrachter erschienen.
Allein, das unnatürliche Rot
Der hinteren Backen und vorderen Mienen
Ließ keinen Zweifel: Der Mann ist tot.

Denn niemand, der fünf Sinne hat,
Verziert seine Ohren mit Krautsalat
Und bettet sich gar aus freiem Willen
In Eiersalat, Creme fraiche und Marillen.
Er wählte sich auch nicht zum Ruhebett
Ein zwei Meter langes Silbertablett,
Auf dem er dann zwischen verschiednen Zutaten
Sich präsentierte als knuspriger Braten
Ganz ohne Hemd, ganz ohne Hose,
Begossen mit würziger Worcestersoße
Und hinterwärtig eingeritzt
Mit scharfer Klinge – aufgeschlitzt,
So daß eine knusprige Schwarte
Verhülle das inwendig zarte,
Nur leichthin gebräunte Festtagsmenü,
Das neckisch geschmückt mit einem Tutu
Um seine ein wenig zu füllige Hüfte
Verbreitet ganz unorthodoxe Düfte.

Jetzt werden bei Tische die Messer gewetzt,
Denn selten lag der, der einst vorgesetzt,
So appetitanregend parat.
Der Vorsitzende vom betrieblichen Rat
Zückt ganz entzückt die Bratengabel,
Tranchiert das Stück vom Hals zum Nabel
Und legt den hungrigen Gästen vor.
Die Damen erhalten – ganz klar – je ein Ohr,
Mit einem Likörchen aus Spanien.
Dann fragt er: »Will jemand Kastanien,
Hier aus des Brustkorbes trefflicher Fülle?«

Darauf die Belegschaft mit wildem Gebrülle:
»Ja hier, ich, ein Löffel! Der Müller hat keine!
Verdammt, sie sind weg, der Schmidt-Lennep kaut meine!«
«Du, Sonja, reich grad mal die Leber rüber …
Ich glaube, es sind keine Zehen mehr über …
Die Brust müßt ihr kosten, die ist ungeheuer …
Am besten, wir stellen ihn noch mal aufs Feuer«.
Worauf vier Kellner mit vereinter Kraft
Den Braten zurück in die Küche geschafft.

Der Prokurist meint: »Ein Stück von dem Schenkel,
Das nehme ich mit für meinen Enkel!
Der ist mir noch immer ein bißchen zu mager!«
»Herr Ober, die Rippchen, die sind für mein´n Schwager!«
Ruft Pfleiderer, dessen Knausrigkeit
Schon Anlaß gegeben zu mancherlei Streit:
Heut‘ allerdings wird drüber gelacht:
»Das hätte der Meier sich niemals gedacht,
Daß wir uns an ihm laben
Mitsamt dem knausrigen Schwaben!«

Kunz will die Wirbel samt dem Mark:
»“Die machen meinen Harro stark«,
Meint er, der tierlieb ist wie keiner.
Und Vorarbeiter Wintersteiner
Besteht auf dem Verdauungstrakt:
»Da wird Gehacktes reingepackt«,
Erklärt er, den´s vor gar nichts ekelt:
»Ich hab schon lang nicht mehr gepökelt!«

Allmählich verschwinden die Überreste.
Man ist inzwischen beim Dessert.
Zufrieden scheint man mit dem Feste,
Rundum stöhnt es: »Ich kann nicht mehr!«
Kunz gönnt sich einen Magenbitter,
Frau Meisen nuckelt am Cointreau;
Schmidt-Lennep stülpt den dritten Liter –
Die Mienen sind festlich gestimmt und froh:
Ein schallendes Lied singt man am Ende.
Auf den Refrain »Die Gedanken sind frei!«
Klatscht die Belegschaft in die Hände:
»Es geht doch nichts über Hausschlachterei!«

11. November 2017 Allgemein