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Sechters Eigenreim

Man hat mich oft gefragt: »Sebastian Sechter,
was wollen Sie mit Ambulanter Poesie?«
Ich sage dann stets dasselbe: »Ein echter,
und ernst bemühter Poet verrät Ihnen nie,
was ihn an innern Gesetzen und Gedanken
befeuert, zu sinnen und ringen, bis Formen genügen
und Versmaße nicht wie Boote im Sturme schwanken,
beim Schreiben entfleuchen, weil Hebungen trügen;
Metaffern sich geben, als sei’n sie ohne Ecken,
um einen, wenn sie gedruckt erscheinen,
elliptisch auf den Flor zu strecken.
Wer zählte je die Tränen, die wir weinen,
wenn wieder eine, ach so schöne Wendung,
nach mannigfachem Schmerzen, argen Wehen
einer falsch betonten Endung,
einer Fuge, die ich übersehen,
zum Opfer fiel, wo’s längst schon imprimatur hieß –
ich hasse dies …

So viel nur zum ambulanten Dichten:
Es fehlte der Welt, so lange sie sich dreht,
und ist doch unter den Geistespflichten
des Künstlers die höchste – denn es geht
um das, was er gerne beim Streben
nach Lorbeer, Ruhm und Ehrenpreis vergißt
– die Fallen des Alltags im menschlichen Leben,
sie sind’s, in denen der Leser Trost vermißt.

Wenn ihm nämlich die letzte Tasse aus Meißen,
zu Boden fällt und liegt nun in Stücken;
versehens das Bunte mit dem Weißen
gewaschen wird – das sind die Tücken;
verbrennt uns das Schnitzel, das sorgsam panierte,
dann hätte man gern einen Klagegesang,
kaum aber, daß man ihn intonierte,
gebricht es am Texte, der Länge lang –
denn nur »Auwei!« und »Ach!« oder »Mist!«
sagt wenig über den gemeinten Affekt,
der unbedingt zu bewältigen ist,
weil er in dem tragischen Vorkommnis steckt:

Da braucht man poetische Ambulanz,
denn sie macht zur Kunst das gehabte Desaster.
Der Dichter – mit ungewöhnlicher Eleganz
und Feingefühl verpaßt er
den Katastrophen aus Küche und Keller
Romanze, Sonett oder Epitaph,
so daß zerbrochene Kannen und Teller
und was auch sonst das Schicksal traf,
zum Quell der Freude sich verwandeln
anstatt den häuslichen Frieden zu stören.
Drum heißt es: ambulant zu handeln
auch bei alltäglichsten Malheuren.

14. November 2017 Allgemein